Thekla Lingen
TEIL 1
Eine neue Reihe über starke Frauen
In meinem ersten Teil zum Thema Deutsche Dichterinnen möchte ich Euch eine starke Frau vorstellen, die versucht hat, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie lebte in einer sich stark wandelnden und doch sehr männerdominierten Zeit. Freiheiten oder der Wunsch, sich selbst zu verwirklichen, wurde spätestens mit der Eheschließung eingeschränkt. Betrachtet man das Leben der Euch heute vorgestellten Dichterin, Thekla Lingen, so finden sich Abschnitte in ihrem Lebenslauf, die ihr die Freiheiten ließen und dann wieder einschränkten.
Zur damaligen Zeit durften die jungen Frauen vor ihrer Verheiratung ihren künstlerischen Neigungen nachgehen. Mit der Eheschließung war es ihnen oft nicht mehr erlaubt. Der Euphemismus „gab … auf“ verschleiert hier ganz sicher den vorbestimmten Weg der Frauen im 19. Jahrhundert.
Dichterin um 1900
Thekla Lingen, eigentlich Tekla Johanna Müller, war eine deutsche Schriftstellerin. Sie kam in einem kleinen Ort in Lettland zur Welt und wollte schon früh Schauspielerin werden. Dieses Ziel verfolgte sie intensiv und ging deswegen sogar nach St. Petersburg. Dort lernte sie ihren ersten Mann kennen.
1890 bekam sie eine Tochter, Thea. Vermutlich gab sie dadurch ihre Karriere als Schauspielerin auf. Um 1900 erschienen einige ihrer Werke (Gedichte / Novellen) über den Verlag Schuster & Loeffler in Berlin. Danach gab sie auch die publizistische Tätigkeit auf.
1907 heiratete sie, inzwischen verwitwet, ihren zweiten Mann Anatole Friedrich Flemming. Ein tragisches Bootsunglück 1911 entriss ihr ihre erst 21jährige Tochter. Sie selbst starb 1931 in Berlin-Wittenau.

Spaziergang durch die Ruhe und den Frieden des Winters
Aus der von Gisela Brinker-Gabler erschienen Gedichtsammlung entstammt folgendes Gedicht: Winterwanderung.
Es beschreibt einen Spaziergang durch eine weiße Winterlandschaft und zeichnet ein Bild von Ruhe und Frieden. Das lyrische Ich nimmt auf seinem Weg durch die verschneite Stille Wegweiser wahr. Diese lassen sich sehr gut im übertragenen Sinne lesen. Im Gedicht stehen sie nicht nur für Schilder im verschneiten Wald, sondern für äußere Vorgaben, Erwartungen und vorgezeichnete Lebenswege.
Dass das lyrische Ich am Ende sagt, es möge „keinen Weiser am Wege sehn“ und „seine eigene Straße gehn“, deutet klar darauf hin, dass es sich von diesen äußeren Orientierungen lösen möchte.
Der Winter mit seiner Stille und Gleichförmigkeit nimmt den Wegweisern ihre Macht: Alles ist weiß und ruhig. In diesem Zustand wird es möglich, auf die eigene innere Stimme zu hören, anstatt sich leiten zu lassen. Der „Winterfrieden“ wirkt dabei wie ein Raum für Selbstbestimmung und innere Klarheit. Das Gedicht spricht vom Mut, den eigenen Weg zu wählen.
Winterwanderung
Verschneit der Weg,
Vom Wind verweht.
Wegweiser stehn und weisen,
Wo meine Strasse geht.
So still der Wald,
In weissen Schleiern
Still und kalt.
Schneeflocken wehen durch die Luft –
Kein Menschenlaut,
Kein Vogel ruft.
Der Schnee webt mir ein weisses Kleid,
Ich wandre still, ich wandre weit,
Mag keinen Weiser am Wege sehn,
Mag meine eigene Strasse gehn
Im weissen Winterfrieden.
Quelle: Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis heute: Gedichte und Lebensläufe
von Gisela Brinker-Gabler; Verlag: Anaconda
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