Poetisch und

TIEFSINNIG

Pablo Neruda war nicht nur einer der größten Dichter Lateinamerikas, sondern auch ein wahrer Poet der Liebe. Seine Gedichte sind voller Leidenschaft, Sehnsucht und intensiver Gefühle – mal zart und sanft, mal überwältigend und schmerzhaft.

Besonders sein berühmter Gedichtband Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung hat Generationen von Lesern berührt.

Liebe in Bildern

Neruda verstand es, Liebe in Bildern zu malen – mit der Natur als Kulisse. Seine Verse sprechen von Sonnenuntergängen, Wellen, Wind und Sternen, aber eigentlich geht es immer um dieses eine große Gefühl: die tiefe Verbindung zwischen zwei Menschen, mit all ihren Höhen und Tiefen. Seine Worte sind direkt, voller Sinnlichkeit und oft auch ein bisschen melancholisch – eben genau so, wie die Liebe manchmal ist.

Ob für frisch Verliebte, für jene, die in Erinnerungen schwelgen, oder für Menschen mit gebrochenem Herzen – Nerudas Liebesgedichte treffen immer ins Schwarze. Sie sind in ihrer ganzen Intensität zu spüren.

Hier findet Ihr drei seiner Liebesgedichte, um jenes besondere Gefühl der Liebe zu spüren:

Seit du gegangen bist

Seit du gegangen bist, spür ich die Bitterkeit,
die unendliche, dir so viel nicht gesagt zu haben,
verschwiegen hab ich Märtyrer die sanfte Zärtlichkeit,
die ich versteckte, wie Rosen sich ins Dunkel graben,

und nicht gesagt hab ich der Worte duftenden Hauch,
die ich im Munde trug, sie hegte unverdrossen;
auf die ich wartete und trug sie doch mit Feuer auch,
und die stets zu Eis wurden, wenn sich die Lippen schlossen.

Jetzt da du gegangen bist, leide ich tief in der Brust,
daß ich dir verschwieg des Füllhorns süße Lust,
die nur für dich, mein Lieb, erblühte …

Doch weiß ich, kämst du eines Tages wieder
und ich suchte nach den Worten meiner Liebeslieder,
bewirkte Bitternis, daß ich mich umsonst nur mühte.

(21. Juli 1919)

(aus „Aus In deinen Träumen reist dein Herz: Einhundert Gedichte“; Luchterhand)

Das schmerzhafte Warten

Nicht gekommen ist die Geliebte, nie wird sie
kommen, nie ihre Hände reichen.
Am Tage ihrer Ankunft wird alles blühen wie noch nie,
die Sanftmut wird der Trauer weichen …

Ausgelöscht sind dann die Schmerzen dieser Nacht.
Damit der Mond sich dem vollkommnen Berg vermähle.
Die verzückten Augen kommen nicht los von dieser Pracht
in einer Kommunion von Geist und Seele.

Nicht gekommen ist die Geliebte, nie wird sie
kommen, doch ist sie auf dem Weg, und nie
war meine Freude anders als ein Gramm an Hoffnung mehr.

Sind wir über alle Zweifel und Befürchtungen erhaben,
und können wir die Wunde alter Schmerzen nicht ertragen,
so wird das Herz vom Warten auf die Liebe niemals leer.

(aus „In deinen Träumen reist dein Herz: Einhundert Gedichte“; Luchterhand)

Hungrig bin ich, will deinen Mund

Hungrig bin ich, will deinen Mund, deine Stimme, dein Haar,
und durch die Straßen zieh ich ohne Nahrung, schweigend,
nicht sättigt mich das Brot, die Frühe lässt mich schwanken,
ich suche den fließenden Klang deiner Schritte am Tag.

Mich hungert nach dem Fehltritt deines Lachens,
nach deinen Händen, von bebender Kornkammer gefärbt,
ich habe Hunger nach der blassen Kuppe deiner Fingernägel,
deine Haut möchte ich essen wie die ungebrochne Mandel.

Den Blitz begehr ich, der sich in deine Schönheit gebrannt,
die souveräne Nase im arroganten Gesicht,
möchte essen den flüchtigen Schatten deiner Wimpern

und hungrig geh ich hin und her, witternd in der Dämmerung,
und wie ein Puma in der Einsamkeit von Quitratúe
suche ich dein brennendes Herz.

(aus „Hungrig bin ich, will deinen Mund: Liebessonette“)