Für jeden Anlass
von WITZIG bis TIEFGRÜNDIG
Kurze Gedichte haben einen besonderen Charme: Sie lassen genügend Raum für Interpretation. Hier findest Du eine kleine Auswahl und vielleicht geht es Dir wie mir und willst die Gedichte mehrmals lesen, bis Du die verschiedenen Bedeutungsebenen wahrgenommen hast.
Gedichte mit Witz und fürs leichte Gemüt
Ein Gedicht darf auch kurz und lustig sein. Nicht immer finden sich tiefsinnige Gedanken in der Lyrik. Große Dichter haben es schon vorgemacht: Das Leben darf mit Witz und fürs leichte Gemüt sein.
Es war einmal ein Lattenzaun
(Christian Morgenstern)
Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum hindurchzuschaun.
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –
und nahm den Zwischenraum heraus
und baute daraus ein grosses Haus.
Der Zaun indessen stand ganz dumm
mit Latten ohne was drum,
ein Anblick grässlich und gemein,
drum zog ihn der Senat auch ein.
Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri-od-Ameriko.
Die Flöhe und die Läuse
(Theodor Storm)
Die Flöhe und die Läuse.
Die hatten sich beim Schopf
Und kämpften gar gewaltig
Auf eines Buben Kopf.
Das nahm der Bube übel
Und haschte Floh und Laus
Und macht‘ mit seinem Nagel
Den Kämpfern den Garaus.
Ich und mein Lieb, wir kosten
Auf meines Nachbars Land –
Hätt bald der grobe Schlingel
Uns beide untergerannt.
Ob ich morgen leben werde
(Gotthold Ephraim Lessing)
Ob ich morgen leben werde,
weiss ich freilich nicht;
aber wenn ich morgen lebe,
dass ich morgen trinken werde,
weiss ich ganz gewiss!
Heimatlose
(Joachim Ringelnatz)
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich, regte sich,
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich dann heran,
Und fragte mich:
„Wo ist das Meer?“
Der Schnupfen
(Christian Morgenstern)
Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf dass er sich ein Opfer fasse
– und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: „Pitschü!“
und hat ihn drauf bis Montag früh.

Kurze Gedichte zum Geburtstag
Ein persönlicher Gruß zum Geburtstag untermalt mit einem kurzen Gedicht beglückt den Empfänger besonders. Hier findest Du ein paar Anregungen:
Zum Geburtstag
(Johann Wolfgang von Goethe)
Wenn Kranz auf Kranz den Tag umwindet,
Sei dieser auch ihr zugewandt,
Und wenn sie hier Bekannte findet,
So hat sie sich vielleicht erkannt.
Nicht lange will ich…
(Eduard Mörike)
Nicht lange will ich meine Wünsche wählen,
bescheiden wünsch ich zweierlei:
Noch fünfzig solcher Tage sollst du zählen
und allemal sei ich dabei!
Das Alter
(Johann Wolfgang von Goethe)
Das Alter ist ein höflich’ Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt’s, er sei ein grober Gesell.
Weihnachtliche Gedichte
Ihr wollt Eure Lieben zu Weihnachten mit einem besonderen Weihnachtsgruß überraschen? Wie wäre es dann mit einem persönlichen Gruß und einem kurzem Weihnachtsgedicht? So ein Gedicht kann die weihnachtliche Stimmung heben und seien wir ehrlich: irgendwie erinnern sie uns auch an Kindheitstage und Plätzchen backen. Hier findet Ihr eine kleine Auswahl:
Advent
(Rainer Maria Rilke)
Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
Nun leuchten wieder die Weihnachtskerzen
(Gustav Falke)
Nun leuchten wieder die Weihnachtskerzen
und wecken Freude in allen Herzen.
Ihr lieben Eltern, in diesen Tagen,
was sollen wir singen, was sollen wir sagen?
Wir wollen euch wünschen zum heiligen Feste
vom Schönen das Schönste, vom Guten das Beste!
Wir wollen euch danken für alle Gaben
und wollen euch immer noch lieber haben.
Noch einmal ein Weihnachtsfest
(Theodor Fontane)
Noch einmal ein Weihnachtsfest,
immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm‘ ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus allem Braus
Doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.
Knecht Ruprecht
(Martin Boelitz)
Draußen weht es bitterkalt,
wer kommt da durch den Winterwalt?
Stipp, stapp, stipp, stapp und huckepack,
Knecht Ruprecht mit seinem Sack.
Was ist denn in dem Sacke drin?
Äpfel, Mandel und Rosin
und schöne Zuckerrosen
auch Pfeffernüss‘ fürs gute Kind.
Die andern, die nicht artig sind,
die klopft er auf die Hosen.
Kurze Gedichte über das Leben
Hier habe ich einige Gedichte über das Leben für Euch zusammengetragen. Sie beschreiben wunderbar alle Seiten des Lebens – Höhen und Tiefen sowie den Anfang und das Ende.
Will das Glück nach seinem Sinn
(Wilhelm Busch)
Will das Glück nach seinem Sinn
dir was Gutes schenken,
sage Dank und nimm es hin
ohne viel Bedenken.
Das Fräulein stand am Meere
(Heinrich Heine)
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
Lebensregel
(Johann Wolfgang von Goethe)
Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Musst dich ums Vergangne nicht bekümmern;
Das Wenigste muss dich verdrießen;
Musst stets die Gegenwart genießen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und die Zukunft Gott überlassen.
Bessere Tage
(Christian Morgenstern)
Dulde, trage.
Bessere Tage
werden kommen.
Alles muß frommen
denen, die fest sind.
Herz, altes Kind,
dulde, trage.
Kurze Gedichte rund um die Jahreszeiten
Wie Johann Wolfgang von Goethe schon sagte: „Die Welt ist allezeit schön“. Viele Dichter haben wunderschöne Worte gefunden, um diese Schönheit der verschiedenen Jahreszeiten einzufangen.
Ein grünes Blatt
(Theodor Storm)
Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so im Wandern mit,
Auf dass es einst mir möge sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.
Septembermorgen
(Eduard Mörike)
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wieſen:
Bald ſiehſt du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverſtellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
Sommerabend
(Rainer Maria Rilke)
Die große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht.
Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber …«
Und wieder dann: »Ich bin so müd …«
Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose
trägt einen roten Heiligenschein.
Er ist’s
(Eduard Mörike)
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!
(Titel unbekannt)
(Cesare Rossi)
Wie Silberblumen stehen
Die Sterne zitternd hoch im heitren Blau.
Im sanften Windeswehen
Säuseln die Sträucher
schwer vom nächt’gen Thau.
Es war ein solcher Vormittag
(Christian Morgenstern)
Es war ein solcher Vormittag,
wo man die Fische singen hörte,
kein Lüftchen lief, kein Stimmchen störte,
kein Wellchen wölbte sich zum Schlag.
Nur sie, die Fische, brachen leis
der weit und breiten Stille Siegel
und sangen millionenweis‘
dicht unter dem durchsonnten Spiegel.